Porträt Cinémathèque Leipzig e.V.
Als sich im Frühjahr 1991 Film- und Kino-Enthusiasten zusammentaten, um den Verein AG Kommunales Kino Leipzig zu gründen, orientierte man sich stark am ursprünglichen Modell kommunaler bzw. nichtgewerblicher Filmarbeit. Damals waren die Fördertöpfe noch gut gefüllt, der cineastische Nachholbedarf groß; und aufgrund einer lebendigen Kollaboration wie mit der Stiftung Kulturfonds, dem Europa-Haus, dem Amerika-Haus, dem British Council und dem französischen Institut konnten etliche Filmreihen, Regieporträts und Retrospektiven gezeigt werden. Ein Interview mit der Geschäftsführerin Angela Seidel über mehr Raum, mehr Ideen, mehr Filmkultur.
Worin liegt die kulturelle Bedeutung der kommunalen Kinos?
Kulturelle Orte, die nicht von Verwertungszwängen durchdrungen sind, geben Raum für offene Fragestellungen, Denk- und Wahrnehmungsrichtungen. Nur durch die Möglichkeit zu experimentieren, zu hinterfragen und zu erkunden, ist kulturelle Entwicklung machbar. Wird diese Entwicklung eingeschränkt, dann wird die gesellschaftliche Entwicklung ebenso eingeschränkt. Ein Blick in die Geschichte zeigt, was infolge solcher Einschränkungen geschieht. Vielleicht gilt es an dieser Stelle den Begriff kommunales Kino kurz zu beleuchten. Die Idee und Gründung der ersten kommunalen Kinos stammt aus den 1960er/1970er-Jahren der Alten Bundesrepublik. Es beruhte auf der Haltung, Kino sei ebenso Kulturgut wie Theater, Kunst etc. und damit ebenso förderwürdig. Die Kommunen unterhielten sozusagen „eigene“ Spielstätten, um „nichtkommerzielle“ Filminhalte, Filmgeschichte zu präsentieren, zu kontextualisieren und zu archivieren. Das bedeutete das Zeigen der Original-Sprachfassung, das technisch formatgetreue Abspiel und einen informatorischen Mehrwert via Rahmenprogramm. Das beschriebene Betreiber- und Finanzierungsmodell ist nur noch vereinzelt und auf dem Gebiet der alten Bundesländer aktuell. In den neuen Bundesländern bspw. gibt es kein einziges in diesem Sinne „Kommunales Kino“. Gerade mit Blick auf die wachsende Durchdringung und Beeinflussung der gesamtgesellschaftlichen Realität durch diverse Bildformate und -sprachen bleibt die Unterstützung einer absolut notwendigen umfassenden Film-Kulturarbeit durch die öffentliche Hand erforderlich und muss zwingend intensiviert werden.
Wim Wenders formulierte mal, dass „wenn man ein Kino will, das den Blick in die Welt und in die Geschichte offen hält, […] man mehr denn je die kommunalen Kinos [brauche].“ Ist das so?
Das ist eine richtige, doch einschränkende Antwort. Besser wäre eine generelle Abkopplung kultureller Tätigkeit von betriebswirtschaftlichen Erwägungen und Zwängen. Wenn Kultur keine Ware ist, dann kann ihr Blick auch frei sein.
Euch gibt es seit 1991. Wie bleibt Ihr mit Eurem Kinopublikum in Kontakt? Und spürt Ihr einen Bedeutungswandel der Kinohäuser?
Unser Publikum hat sich in diesen 27 Jahren immer wieder geändert. Dies liegt zum einen an zeitlichen Entwicklungen (der Bildbedarf 1991 war ein anderer als er es heute ist), zum anderen an veränderten Rezeptionswegen. Im Wesentlichen bleiben wir derzeit in Kontakt mit unserem Publikum, indem unsere Programmarbeit in der Regel kollaborativ mit diesem stattfindet. Wenn Kino seine Bedeutung ändert, dann hängt dies untrennbar mit der Bedeutung der Filme, die produziert werden UND in den Verleih kommen, zusammen. Eine weitere Frage, die sich das Kino stellen muss, ist, welche Bedeutung will ich haben? Wir spüren in diesem Sinne keinen Wandel, als dass unser Programm immer versucht, relevant in Inhalt und Form zu sein. Zu spüren ist allerdings, dass Wissen um Filme und Bilder zunehmend verloren zu gehen scheint; die Halbwertzeit eines Films/Bildes ist enorm gestiegen.
Euer Programm wird anteilig von der Stadt Leipzig institutionell gefördert, aber auch von anderen öffentlichen Trägern finanziell gestützt. Trotzdem würde es ohne die ehrenamtlich agierenden Mitgliedern nicht funktionieren, oder? Was würdet Ihr Euch an Unterstützung wünschen/benötigen?
Käme die gute Fee, würde ich sagen: Eine durchfinanzierte Personalstruktur, die es ermöglicht, ressourcenschonend zu arbeiten; eine institutionelle Förderung, die den veränderten Verhältnissen des Verleihmarktes Rechnung trägt. Zunehmend müssen Titel international erworben werden, da Produktionen von Bedeutung immer seltener in die nationale Verleihstruktur gelangen. Brisant wird dies auch bei Produktionen, die älter als 5 Jahre sind. Die eigenverantwortliche Kofinanzierung stellt uns seit Jahren ohne eigenes Haus, unregelmäßige Spielzeiten und in Anbetracht unseres Anspruches und Leitbildes vor eine Riesenherausforderung. Dies bezieht sich auf die finanziellen und personellen Ressourcen gleichermaßen. Ohne ehrenamtliches Engagement im strukturellen und inhaltlichen Bereich, z.B. im Projekt „Kino für Geflüchtete“, wären die Veranstaltungen der Cinemathèque Leipzig nicht leistbar. Wir brauchen alle Kraft für die Realisierung unserer Vision eines Filmkunsthauses in Leipzig! Wir brauchen Unterstützung in Knowhow, Ideen, Engagement und finanzielle Ressourcen für unsere Entwicklungsarbeit!
Ist Kino im 21. Jahrhundert immer noch ein politischer und soziokultureller Ort?
Wenn das Kino sich so versteht und agiert – ja. Das Kino ist ein Raum, in dem man u.a. Film zeigt. Politisch wurde und wird er erst durch die Menschen und deren Ideen, Motivationen, Haltungen und deren Selbstverständnis in der Herangehensweise an kulturelle Arbeit und Vermittlung von Inhalten. Meinen Sie es ernst/sind sie authentisch, dann bewirkt dieser Raum/das Angebot/die Idee dahinter in jedem Falle Teilhabe, mit dem Ziel, politische und kulturelle Selbstermächtigung anzustoßen bzw. möglich zu machen. Also ja, Kino kann ein Ort sein, an dem u.a. politische Themen verhandelt und gesellschaftspolitische und kulturelle Prozesse angestoßen werden. Das Kino, das wir meinen, muss solch ein Ort sein – im weitesten Sinne barrierearm. Der Schlüssel liegt in den persönlichen Haltungen der Macher*innen: Man kann es nicht vorgeben; man muss es sein…
Die Cinémathèque Leipzig ist seit jeher ohne eigene Spielstätte. Seit mehr als 5 Jahren engagiert sich der Verein nun für ein „Filmkunsthaus“ in Leipzig. Woher kam dieser Impuls? In welcher Phase befindet Ihr Euch gerade mit dem Filmkunsthaus?
Der Wunsch und die Notwendigkeit einer eigenen Spielstätte existiert länger als zehn Jahre. Verschiedene Projekte wurden gedacht, gekämpft und mussten wieder verworfen werden. Das kostet Kraft und blutet aus auf lange Sicht. Mit einer neuen Personalkraft Ende 2012 mobilisierten sich wiederholt alle Kräfte, eine Vision zu denken, zu planen und dafür zu kämpfen. Wir entwickelten in der Zeit zwei umfassende Konzepte für verschiedene Locations. Der aktuelle Standort im Rahmen unserer Konzeptplanung liegt auf dem Gelände der Feinkost in der Leipziger Südvorstadt. Wir haben in der Eigentümerin – der Feinkost Genossenschaft eG – eine Partnerin gefunden, die uns herzlich willkommen heißt und die Idee der Realisierung eines Filmkunsthaus auf der Feinkost unterstützt. Anfang dieses Jahres gab es einen Stadtratsbeschluss zur Unterstützung der Cinémathèque Leipzig und deren Entwicklungsambitionen. Hier sind wir einen riesigen Schritt weiter, auf dem wir aufbauen und zwingend notwendige Investitionsunterstützung der öffentlichen Hand akquirieren können und müssen. Es gibt aktive Unterstützung auf Landes- und kommunaler Ebene, durch andere Institutionen und Menschen aus Wirtschaft und Kultur – z.B. auch den Filmverband Sachsen. Das Ende des Gotthard ist förmlich spürbar… Unterstützung durch konzeptionell und inhaltlich denkende Menschen ist immer willkommen, deren Ideen und Blickwinkel, sofern sie sich mit unserem Selbstverständnis in Verbindung bringen können. Wir blicken ebenso aktiv auf die Erschließung nachhaltiger Partnerschaften zur finanziellen Konsolidierung unseres Vorhabens. Und natürlich immer positiv darüber reden. Feurig und lebendig sprühend. Es geht nicht mehr darum ob, sondern wie wir diese Vision in den kommenden 3 Jahren wahr werden lassen.
In welchem Maße seht Ihr Euch selber als Impulsgeber für die kulturelle Erweiterung desinnerstädtischen Raums Leipzigs verpflichtet?
Wir sehen uns verpflichtet, relevante Inhalte zu verhandeln, die impulsgebend in soziale und kulturelle Räume hineinwirken können. Einen Impuls kann es nur geben, wenn nicht im Niemandsland agiert wird. Dies auf den innerstädtischen Raum beschränken zu wollen, wäre mit Sicherheit nicht hilfreich. Grundlegend fehlt ein Ort, der als Bindeglied zwischen Forschung und Publikum, zwischen Präsentation und Entwicklung auch alltäglichen Zugang zur wichtigsten konstituierenden Ausdrucksgattung unserer Zeit garantiert. Dieser Ort wird das Filmkunsthaus Leipzig sein. Das Filmkunsthaus in Leipzig mit einer in dieser Form neuartigen Konzeption schärft die kulturpolitische Expertise des Standortes. Damit eröffnet sich die Chance, auch überregional Impulsgeber für kulturelle Entwicklung zu werden und ebenso einen wichtigen Akzent für die Kultur, Film- und Kreativwirtschaft in Leipzig zu setzen.
Die Cinémathèque entwickelt kooperierend Filmreihen, Festivals, Projekte und Diskussionsveranstaltungen. Wer sind die Entscheider*innen hinter diesem 27 Jahre gewachsenen Verein? Habt Ihr Themen, die Euch konstant wichtig sind, diese als Cinémathèque zu verhandeln?
Die Organisationsstruktur des Vereins auf der Arbeitsebene gestaltet sich hierarchiefrei mit einer klaren Verteilung der Aufgabenbereiche. Die Entscheider sind nicht HINTER dem Verein, sondern unsere Kraft erwächst unter anderem durch die offene, transparente und vor allem gemeinsame Diskussion und Entscheidungsfindung. Das schließt eigenständig kuratierende bzw. sich bildende Gruppen nicht aus; sofern diese sich im Rahmen unseres Selbstverständnisses bewegen möchten. Wichtig ist uns ein weitgehend repressions- und barrierefreier Zugang zu den Veranstaltungen für Gäste und Mitarbeiter*innen, unabhängig von deren möglichen Einschränkungen, sozialer und ökonomischer Situation oder zwischenmenschlicher Präferenz. Nationalitäten und kulturelle Hintergründe begreifen wir als Konstrukte, die es infrage zu stellen gilt. Programmatisch und inhaltlich orientieren wir uns unter anderem auf künstlerische, politische und utopische Selbstermächtigung. Die Cinémathèque zeigt ausgewählte internationale Filme in (neuen) thematisch-künstlerischen Kontexten und entwickelt kooperierend Filmreihen, Festivals, Projekte und Diskussionsveranstaltungen. Alle Filme werden (soweit möglich) grundsätzlich im Original mit Untertiteln präsentiert. Wir bieten anderen Akteur*innen, Institutionen und Einzelpersonen die Möglichkeit, mit uns gemeinsam themenzentriert zu arbeiten und Filmprojekte zu kuratieren.
Ist die Cinémathèque ein Ort für den sächsischen Nachwuchs?
Als kollektiv und vernetzend arbeitende Plattform laden wir ein, mit uns gemeinsam Inhalte zu entwickeln, abzubilden und zu kontextuali-sieren, zu rezipieren und zu hinterfragen.Die Cinémathèque ist ein Ort für aktiv denkende Menschen, egal woher sie kommen und in welchem Wachstumsstadium sie sind. Es braucht für alle neue Konzepte, die sich von der Präsentation und Vermittlung be- und ausgrenzender gesellschaftlicher Normative distanzieren, Konzepte, die stattdessen konsequent partizipativen, emanzipatorischen Grundsätzen folgen und kritische Sichtweisen anstreben und fördern.
Interview: Jana Endruschat