»Was von der Liebe bleibt«, der neue Film des Leipziger Drehbuchautors und Regisseurs Kanwal Sethi, ist seit 2. Mai in den Kinos. Der Film erzählt die Geschichte einer Liebe, die sich gegen staatliche Gewalt und Diskriminierung gegenüber der Migrationsgesellschaft behaupten muss. Wir trafen uns mit Kanwal Sethi in Leipzig und sprachen über die vielfältigen Möglichkeiten unserer Filmregion und über seinen aktuellen Film. Text: Charlotte Steubner
Es ist ihm ein Anliegen, Geschichten zu verfilmen, die Menschen dazu bringen, sich emotional mit einem Thema auseinanderzusetzen. Im Café Cantona sprachen wir mit Kanwal Sethi unter anderem über seinen neuen Film »Was von der Liebe bleibt«, der ab 2. Mai im Kino zu sehen ist.
Als es viele aus dem Osten wegzog, ging der indisch-deutsche Regisseur Kanwal Sethi nach Dresden und entschied sich, hier Volkswirtschaft zu studieren. »Ich bin in einer sehr politischen Familie geboren und da war immer der Wunsch da, die großen Zusammenhänge zu verstehen.« Dresden sei ein Zufall gewesen. »Aber ein sehr spannender Zufall«, erzählt Sethi, da die Region sich 1992 um ein »krasses Experimentierfeld« handelte. Trotz verschiedener Überlegungen, nach dem Studium ins Ausland zu gehen, blieb er in Leipzig hängen. Schon bald folgten die ersten Kurz- und Dokumentarfilme, welche auf unterschiedlichen internationalen Festivals gespielt wurden. Unter anderem feierte der Leipziger Filmemacher einen großen weltweiten Erfolg mit dem Spielfilm »Once Again – Eine Liebe in Mumbai«.
Die ursprüngliche Inspiration für die Geschichte seines neuen Filmes »Was von der Liebe bleibt« fand Sethi in Gedichten, welche aus der Perspektive von NSU-Opfer-Angehörigen verfasst waren.
Wichtig war es Sethi jedoch, keinen Opferfilm zu erzählen, weshalb er sich ganz bewusst für »eine Liebesgeschichte im Kontext von systemischem Rassismus« entschied. Zwei junge Menschen, die sich in Berlin kennenlernen und verlieben.
Ilyas ist überzeugter Berliner, Yasemin 1. FC Köln-Fan. 15 Jahre später hat das Paar eine gemeinsame Tochter, ist verheiratet und führt ein gut laufendes Café. Entgegen dem sonst sehr eindimensional propagierten Bild von Menschen mit Migrationsbiografie, entscheidet sich Sethi bewusst für zwei Deutsche türkischer und kurdischer Abstammung aus der Mittelschicht: Seine Hauptfiguren sind sehr gut situiert – und bleiben trotzdem immer die Fremden. Yasemin ist sich dessen von Anfang an bewusst, »sie kann damit spielen«, so Sethi. »Aber trotzdem bleibst du Kanake«, sind Yasemins Worte, als Ilyas ihr erzählt, dass er in Berlin geboren sei und hier auch sterben werde.
Bei einem Anschlag auf das Café wird Yasemin erschossen. Es folgt eine Odyssee durch die Ermittlungen der deutschen Behörden. Ab diesem Moment wird die Leichtigkeit einer Liebesgeschichte dem »gesichtslosen strukturellen und fest in der Mitte der Gesellschaft verankerten Rassismus«
gegenübergestellt.
Sich mit einer Liebesgeschichte zu identifizieren ist einfach. Doch das Thema des strukturellen Rassismus ist schwer greifbar, insbesondere für Menschen, welche das Privileg haben, sich mit diesem nicht auseinandersetzen zu müssen. »Es gibt bestimmte Dinge, die man als Mensch, wenn man eine Migrationsbiografie hat und eine andere Hautfarbe, erlebt, und ich denke, nur dann kann man vielleicht so einen Film auch machen.“« Um diese Erlebnisse zu teilen, deklariert Sethi den Film explizit als »eine Einladung an alle Menschen, die selbst diese Erfahrungen nicht gemacht haben«. Und genau diese Menschen waren nach den ersten Film-Screenings »sehr dankbar, dass der Film auch ohne Zeigefinger auskommt«.
Struktureller Rassismus ist ein vom deutschen Kino bisher kaum beachtetes Thema. Der Filmemacher sieht dafür zwei Gründe: »Andere Länder sind, was speziell dieses Thema betrifft, schon viel weiter als wir in Deutschland.« So gehöre systemischer Rassismus in Amerika längst zum politischen Mainstream. »Hier sind wir davon meilenweit entfernt.« Ein weiteres Problem sieht er in der Herangehensweise vieler Filme an gesellschaftsrelevante Inhalte. »Filme, die sich mit solchen Themen beschäftigen, reduzieren sich sehr oft auf das Thema. Leute würden sich vielleicht auch mehr mit dem Thema beschäftigen, wenn man mehr Geschichten erzählt.« Ein Film, dem dieser Spagat grandios gelingt, sei L.A. Crash, verrät Sethi. »Das ist ein toller Film. Das ist eine Geschichte, ein Hollywood-Drama. Es geht die ganze Zeit um Rassismus, aber wir beschäftigen uns damit als Geschichte.«
»Sachsen kann es wagen, ins Ausland zu gehen und für sich zu werben. Wir haben alles hier.«
Kanwal Sethi
Die Bewegung in den deutschen Kinos hin zum »ernst zu nehmenden Mainstream« schätzt der Filmemacher dahingehend. »Man will zuschauergewandt erzählen. Ich denke, das ist für eine Kinolandschaft immer sehr gut. Und ich denke, wir werden immer mehr in diese Richtung gehen und auch gehen müssen, (…) wenn wir nicht nur Hollywood alles überlassen wollen.« Sethi arbeitet zurzeit an dem zweiten Teil von »Once Again«, geplant ist eine Trilogie. Es ist bereits seine zweite internationale Koproduktion. Auf die Frage, was er sich für Sachsen als Filmstandort in Bezug auf internationale Koproduktionen wünschen würde, äußerte er die Dringlichkeit einer intensiveren Beschäftigung durch die MDM mit dem Thema. Wie hilft man solchen Produktionen? Wie passt man bestimmte Regelungen an? »Wenn hiesige Filmschaffende auch ins Ausland gehen können, Synergien, Kontakte schaffen – das muss man unbedingt supporten!« Und gleichzeitig ist er von der Region überzeugt: »Sachsen kann es wagen, ins Ausland zu gehen und für sich zu werben. Wir haben alles hier.«
Der Regisseur und Drehbuchautor setzt seine eigenen Worte so gut es geht um: Leute aus Sachsen will er mit zum Dreh nach Indien nehmen, während die Postproduktion in der Region stattfinden soll. Ganz nach dem Motto: »Wir können den Standort nur dann stärken, wenn hier viel passiert.« Während Sethi Leipzig privat als »dynamische Stadt mit hoher Lebensqualität« sehr schätzt – vor allem, weil alles mit dem Fahrrad zu erreichen sei – sieht er als Filmschaffender große Herausforderungen für Leipzig und Sachsen als Filmstandort. »Ich kenne so viele frustrierte und enttäuschte Filmschaffende«, erzählt er. »Viele Leute hören auf oder geben ihren Beruf ab, weil sie schlechte Erfahrungen mit ein paar Produktionsfirmen gemacht haben. Und das kann nicht sein.« Vor allem, weil hoher Fachkräftemangel herrsche. Daher bedürfe es dringendster Diskussion und Klarheit über den Umgang der Region mit ihren Filmschaffenden. Es brauche »ganz klare Richtlinien, wie Produktionsfirmen mit Geldern und Filmschaffenden aus der Region und anderswo umgehen«, etwa in Form eines Kontrollmechanismus durch die Geldgeber*innen. »Es ist teilweise ein Desaster«, so Sethi. Andererseits gibt es selbstverständlich auch viele engagierte Firmen, die ihr Handwerk sehr gut beherrschen und solche muss man dagegen unbedingt stärken.
Neben seinen aktuellen Projekten arbeitet Sethi seit zwei Jahren an der Serie »Vom Leben und Sterben deiner Träume« (Arbeitstitel), da ihn die Nachwendezeit bis heute nicht richtig losgelassen hat. Sie wird sich intensiv mit der Zeit zwischen 1990 und 2010 auseinandersetzen. Sethi erzählt, dass er diesen Prozess aus zwei Perspektiven begleitet und (Mit-)Erlebtes dadurch verarbeitet: »Ich selbst auch als Ossi und gleichzeitig aber aus der Außenperspektive.« Wir dürfen gespannt sein!
Neben seiner künstlerischen Arbeit ist Kanwal Sethi ein engagierter politischer Aktivist und stellvertretender Vorsitzender des Programmausschusses im MDR-Rundfunkrat. Sein neuer Film »Was von der Liebe bleibt« läuft seit 2. Mai in den Kinos.
Text: Charlotte Steubner | Foto: Dirk Wackerfuss / Filmstills: Eric Molberg Hansen / Rohfilm Productions / FILMWELT.
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