Ein Porträt über die Journalistin und Filmemacherin Claudia Euen
Ich traf Claudia Euen vor wenigen Wochen in Leipzig im Café direkt am MDR-Landesfunkhaus. Der Termin hatte sich schon einige Male verschoben. Es gab die ganz gewöhnlichen Terminengpässe von freien Filmemacherinnen, die sich ihren Weg durch die Branche und den Alltag bahnen – man ist verfügbar und immer im Einsatz.
Angefangen hat alles in Weimar, Lyon und Vietnam als Kulturwissenschaftlerin und Entwicklungshelferin mit der Einsicht, dass „die Geschichten der Anderen erzählt werden müssen, um das große Ganze zu verstehen“. Mit ihrem tiefen Hang zu den Geschichten der Menschen und zum Leben gelangt sie 2012 nach Leipzig und wird Film- und später Chefredakteurin beim Kreuzer, dem Leipziger Stadtmagazin. Nach über zwei Jahren dort, beginnt sie als freie Autorin. Nach wie vor schreibt Claudia Euen und landet in den letzten Jahren mit ihren Texten in einschlägigen und auch hochkarätigen Blättern wie Psychologie heute und DAS MAGAZIN. Für Deutschlandfunkradio, den MDR und andere öffentlich-rechtliche Sender erstellt sie Radio- und Fernsehbeiträge. Sie verfolgt dabei das Prinzip, sich Themen zu erschließen und multimedial aufzuarbeiten. Und weil ihr die Bühne nicht unbekannt ist, moderiert die 39-Jährige auch Filmpremieren, Theatergespräche, Podiumsdiskussionen, politische Salons und ist Mitglied im politischen Quartett der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Bei aller Vielseitigkeit hat das Schreiben von Geschichten und Drehbüchern bei ihr in den letzten Jahren an Raum gewonnen. Was sie augenblicklich umtreibt, ist ihre Affinität zum Dokumentarfilm. Der Reiz dabei sei es, in die Lebenswelten anderer Menschen einzutauchen, das würde den eigenen Horizont immens erweitern. Sie selbst sagt: „Mich interessiert, wie die Menschen dahin gekommen sind, wo sie heute sind und was mit ihnen auf diesem Weg passiert ist.“ Gleichzeitig glaubt sie, dass ein Mensch immer in dem System funktioniert, in dem er sich befindet. Man sei nie losgelöst mit seinen privaten Bedürfnissen, sondern ist immer in einem Kontext verhaftet. So entstand ihre ganz eigene Geschichte über die Liebe, und alles was dazu gehört, in einem kleinen Dorf in der Nähe von Gera. Hier steht das Haus ihrer Großeltern. Die beiden waren über 70 Jahre lang ein Paar. Sie haben den Großteil ihres Lebens gemeinsam verbracht, kannten sich schon als Kinder; gemeinsame Kinderfeste und Frösche fangen im nahegelegenen Bach. Mit Anfang 20 Hochzeit, Familiengründung. Zwei Menschen in einem Leben, könnte man sagen. „Sie haben sich nie getrennt, sind nie ohne einander in den Urlaub gefahren“, erinnert sich die Enkeltochter. Meistens wird von tragischen Beziehungen erzählt, immerhin wird im Durchschnitt jede zweite Ehe in Deutschland geschieden. Ihre Großeltern aber gehören zu jenen 50 Prozent, über die man nicht spricht. Warum bleibt die Liebe bei den einen und geht bei den anderen? Um dieser Frage nachzugehen, dokumentiert sie die beiden, in ihrem ganz eigenen Tempo und hangelt sich an der Alltagsgeschwindigkeit zweier betagter Verliebter entlang. Auch deshalb wurde aus geplanten 30 Minuten eine Stunde, denn weg vom Fernsehgeschäft und dem damit verbundenen Format kann man sich Zeit nehmen für die Geschichten und die Beziehung der Dinge.
Gefördert wurde das Projekt von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen mit einem Stipendium für Drehbuchentwicklung und später von der Kulturstiftung und der Thüringer Staatskanzlei während der Realisierung. Für den Blick hinter der Kamera konnte Claudia Euen eine frühere Studienkollegin und Freundin Nicola Hens und Stefan Rauchhaus gewinnen. Dramaturgisch stand ihr Katharina Krischker zur Seite. Annett Ilijew war für die Montage verantwortlich.
Mit diesem Dokumentarfilmdebüt „Im Schatten des Apfelbaumes“ ist Claudia Euen seit dem letzten Jahr auf zahlreichen internationalen Festivals in Taiwan, Kambodscha, Island und Armenien unterwegs gewesen, wurde für den besten Dokumentarfilm nominiert und erhielt lobende Erwähnungen. In Kanada war sie beim „Vancouver International Women in Film Festival“ zu Gast. Dort, wo ausschließlich Filme von Regisseurinnen gezeigt werden, fand sie viel Anerkennung und Inspiration. Denn gerade Frauen hätten es, so Claudia Euen, im internationalen Dokumentarfilm immer noch schwerer als ihre Kollegen. Dabei gäbe es viele tolle Regisseurinnen, nur, dass sie ihre Themen genauso sichtbar platzieren – das sei noch ein weiter Weg. Der Apfelbaum aber wird seinen Kinostart Ende Oktober dieses Jahres in Leipzig haben. Zudem soll er in verschiedenen mitteldeutschen Städten gezeigt werden. Aktuell arbeitet sie an zwei neuen Projekten, eine Langzeitdokumentation und ein Kurzfilm.
Autorin: Claudia Reh